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'Martinsgespräch' der DiAG IDA am 11.11.2010 im Haus der Caritas:

Lesung und Gespräch mit dem Autor Joachim Zelter

Titelseite des Romans 'Schule der Arbeitslosen' von Joachim ZelterDie Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Ist 'Entwarnung' angesagt? Wohl kaum. "Denn", so der Autor Joachim Zelter, "die eigentliche Arbeit ist heute nicht mehr die Arbeit selbst, sondern die Suche nach Arbeit" ('Schule der Arbeitslosen', Seite 34). Wer sich den Figuren im Roman 'Schule der Arbeitslosen' stellt, dem gelingt nicht mehr der Rückzug ins schützende Unbeteiligtsein. Arbeitslosigkeit ist zwar kein Schicksal, aber treffen kann sie jeden.

Angesichts der aktuellen Debatten um die Höhe des Existenzminimums und die Notwendigkeit des Fordern und Fördern ist 'Schule der Arbeitslosen' "ein großer, ein eminent wichtiger Roman" (WAZ), der "messerscharf, mit knapper aber umso präziserer Sprache" (taz) eine Vision der Arbeitwelt darstellt, die beängstigend nah an die Realität herankommt.

Die DiAG IDA lud deshalb am 11.11.2010, einem unwirtlichen Novemberabend, zum Martinsgespräch 2010 mit Lese-Zeichen gegen Arbeitslosigkeit ein, die Zitate aus diesem Roman von Joachim Zelter aufweisen (sie können nach wie vor gerne angefordert werden). Vorstandssprecher Gerold König konnte den Autor vor einem dem entsprechend 'exklusiven' Zuhörerkreis begrüßen, der - trotz der Unbillen des Wetters - den Weg in das Haus der Caritas gefunden hatte.

Joachim Zelter bei der LesungDie Besucher sollten das nicht bereuen, denn der 1962 in Freiburg geborene Dr. phil. Joachim Zelter bewies seinen Ruf als 'gerühmter Vorlesekünstler'. "Arbeit bleibt Arbeit. Keine Freiheit, keine Menschenwürde, keine Gemeinschaft, kein gar nichts ohne Arbeit. Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. ... Mit allen Folgen. ... Und wenn es keine Arbeitslosen gäbe, man würde sie erfinden, allein um den Wert der Arbeit zu heben. Um diesen Wert wachzurütteln und hochzupeitschen. Als Erinnerung, was man wird, wenn man seine Arbeit verliert: arbeitslos, haltlos, rechtfertigungslos. ... Verstehen Sie. Rechtfertigungslos." ('Schule der Arbeitslosen', Seite 188)

In Artikulation und Betonung, in Tempi und Intensität füllte Zelter die Figuren seines visionären Romans aus und ließ sie ein Stück weit Realität werden. Das fachkundige Publikum spürte, wie nah die visionäre Erzählung des Romans an die Wirklichkeit herankam. In unserer Gesellschaft, "die besessen ist von der Arbeit, in der Arbeit alles ist", müssen die Arbeitslosen erfahren, dass "die eigentliche Arbeit heute nicht mehr die Arbeit selbst ist, sondern die Suche nach Arbeit". ('Schule der Arbeitslosen', Seite 34). Die Lebensrealität der Menschen ohne Arbeit spiegelt sich deshalb wieder in Sätzen wie "Ohne Arbeit bist Du nichts!" Worte, die die psychischen und physischen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit erahnen lassen und Zelters Kritik am gesellschaftlichen Umgang mit Arbeitslosen zum Ausdruck bringen.

Wer die 'Schule der Arbeitslosen' als Handlungsanleitung zum Umgang mit Arbeitslosen betrachtet, hat den Autor gründlich missverstanden. Er legt Finger in gesellschaftliche Wunden, er hält uns einen Spiegel vor, regt an zum kritischen Nachdenken. Die Machtverhältnisse zwischen denen, die Arbeit vergeben, und denen, die Arbeit suchen, bringt Zelter durch einen Rollenwechsel zum Ausdruck. Seine Romanfigur Karla stellt die Verhältnisse auf den Kopf, wenn sie schreibt: "Haben Sie besten Dank für ihr freundliches Stellenangebot. Zu meinem allergrößten Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass die Stelle meinen Vorstellungen nicht in vollem Umfang entspricht. Für Ihre geschäftliche Zukunft wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg sowie eine gute Hand bei der Suche an geeigneten Bewerbern." (Seite 141)

Das Lachen - angesichts der Umkehrung des Zynismus - blieb den Zuhörern im Halse stecken. Zelter sorgte mit seiner intensiven und hörbuchartigen Lesung für einen interessanten, kurzweiligen, aber auch nachdenklichen Abend. Dass die Träume und Hoffnungen der Menschen ohne Arbeit Realität werden, dass sie nicht dem 'Gefühl der Endlosigkeit' erliegen müssen, dazu wollte die DiAG IDA mit der Lesung Anregungen geben. Gerold König dankte dem Autor mit einer 'Nachdenk-Skulptur', die Gerd Schnitzler anlässlich des Projektes 'Gut kombiniert' geschaffen hat. Die in der DiAG IDA zusammengeschlossenen Träger wollen die Integration durch Arbeit. "Das jährliche Martinsgespräch ist uns eine wichtige Gelegenheit daran zu erinnern, dass - so die Geschichte des heiligen Martins - Teilen und Umkehr - der Blick aus der Perspektive der Betroffenen - Grundlagen für die Veränderung des Sozialstaats sind", so Gerold König in seinem Dank an die Autor.

Der Herbststurm peitsche den Regen an die Fenster: Novemberwetter. Draußen waren keine Martinslieder zu hören, keine Kinder zu sehen, die mit ihren Laternen von Haus zu Haus zogen. Auch im Haus der Caritas gingen die Lichter aus. Mit hochgeschlagenem Kragen, das Buch 'SCHULE DER ARBEITSLOSEN' unter den Jacken, gingen die Besucher des Martinsgespräches nach Hause. Die Botschaft der Lesung wird nachwirken: "Arbeitslosigkeit ist (k)ein Schicksal".