'Martinsgespräch' der DiAG IDA am 15.11.2011 im Haus der Caritas mit Dr. Hans-Jürgen Marcus
"Arbeitsmarktpolitik am Scheideweg:
Exklusion statt Integration!?"
Aachen. Beim 4. Martinsgespräch der Diözesanarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit (DiAG IDA) debattierten 30 Experten die aktuellen Entwicklungen und fragten nach den handlungsleitenden Menschenbildern in Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Impulsgeber und fachkundiger Referent war Dr. Hans-Jürgen Marcus, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit und Diözesancaritasdirektor des Caritasverbandes der Diözese Hildesheim.
Er stellte ein Zitat der französischen Philosophin Simone Weil an den Beginn seines Vortrages - "Weiß man, wodurch das Gleichgewicht der Gesellschaft gestört ist, so muss man sein Möglichstes tun, um zu der leichten Schale ein Gewicht hinzuzufügen ... man muss immer bereit sein, sich auf die Gegenseite zu schlagen, wie die Gerechtigkeit, diese Flüchtlingin aus dem Lager des Siegers" - und machte so deutlich, dass sich heute im politischen Lobbying für langzeitarbeitslose Menschen Argumentation und Aktion miteinander verbinden müssen. Nur so kann Aufgabe und Ziel, für alle ein Leben in Würde zu ermöglichen, erreicht werden.
"Die Lasten der Gesellschaft sind ungerecht verteilt", stellte Dr. Hans-Jürgen Marcus angesichts der aktuellen sozialen und materiellen Realitäten fest. Fast drei Milliarden Euro Kürzungen im Bereich der Maßnahmen zur Integration durch Arbeit stehen ganze 5 Euro Regelsatzerhöhung für rund sieben Millionen Menschen im Grundsicherungsbezug gegenüber. "Ist das vielleicht ein Grund, warum die 'Solidaritätsheiligen' der katholischen Kirche Konjunktur haben", hinterfragte Dr. Marcus das 'Martinsgespräch' selbstkritisch.
Die Dienste und Einrichtungen der Diözesanarbeitsgemeinschaft Integration durch Arbeit stehen vor der - die ganze Gesellschaft betreffende - Frage: Was machen wir in Deutschland mit Menschen, die langzeitarbeitslos sind?
Dr. Marcus betonte, dass am 23. September 2011 ein Gesetz mit der 'makaberen Bezeichnung' "zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt" verabschiedet worden sei, ohne zu berücksichtigen, dass Arbeitslosigkeit nicht nur ein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Thema ist. Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und Gemeinnützigkeit können keine Kriterien für Maßnahmen zur Integration durch Arbeit sein. Dies wurde auch in der anschließenden Diskussion deutlich.
Die Frage nach den Menschenbildern in der Arbeitsmarktpolitik prägte auch die übrigen Beiträge. Dr. Andreas Wittrahm vom Diözesancaritasverband für das Bistum Aachen bezeichnete in seinem Grußwort die aktuellen Beschlüsse als "Instrumentenreform mit der Abrissbirne" und plädierte dafür, den Begriff der Arbeits-"markt"-politik aus dem Sprachgebrauch zu streichen. "Es darf nicht darum gehen, Menschen 'markt-fähig' zu machen, sondern durch 'Integration durch Arbeit' die umfassende gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen."
Gottfried Küppers, Vorstand der Caritaswerkstatt Heinsberg gGmbH führte aus, dass "hinter allen Paragrafen Menschen stehen, die von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen sind". Und weiter: "Unser Bildungszentrum wurde zerschlagen, geschlossen, ist weg von diesem 'Markt', und viele menschliche und materielle Investitionen nutzen nichts".
Aus dem Ensemble des Theaterstücks "Hartz Fear TV - Die Jensen-Show" rezitierte Claudia Buteweg aus den Monologen der Betroffenen und machte so auf deren emotionale Verfassung aufmerksam: "Ich kann mir noch nicht mal neue Zähne leisten ... und alle können es sehen. Man fühlt sich sowieso nicht als vernünftiger Mensch und das macht alles nur noch schlimmer ... Zahnlos. Arbeitslos. Alles los."
Gabriele Jülich, Geschäftsführerin von IN VIA Aachen brachte es auf den Punkt: "Das Ergebnis von wettbewerbsneutral und zusätzlich ist, dass unsere Leute in unserem sozialen Stadtteilcafe nicht mehr arbeiten und lernen dürfen ... Ihnen bleibt keine Perspektive mehr! Dahinter steht ein merkwürdiges Menschenbild! Das macht mich wütend und sauer!"
Ein Martinsabend, an dem noch lange diskutiert und nachgedacht wurde. Ideen für die Zukunft der "Integration durch Arbeit" waren viele vorhanden.
Aber am Schluss blieb dem Moderator des Abends, Gerold König vom Vorstand der DiAG IDA, auf die Herausforderung, dass "Mantel teilen" heute heißen kann, dazu beizutragen, dass Langzeitarbeitslose gefördert, gebraucht und integriert werden, nur die Fragestellung: "Wie viel Resignation produzieren wir mit dem System der Arbeitsmarktpolitik? Wie kann 'Alles perfekt' sein, solange Langzeitarbeitslose von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen bleiben?"
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